Wagner, Bayreuth und die Festspiele

Jedes Jahr finden in Bayreuth die Wagnerfestspiele statt. Tausende Wagnerianer*innen, wie sich die selbsternannten Anhänger*innen der Musik Richard Wagners schimpfen, fluten die Stadt und feiern die Musik des Antisemiten.

Wagners Musik strotzt nur so von nationalistischem Germanenkult und Größenwahn. Kein Wunder, dass Hitler Wagner verehrte und enger Freund seiner Familie war. Wagners Musik und Antisemitismus waren Teil des ideologischen Rahmens der Hitlerfaschist*innen, welche Millionen von Menschen systematisch folterten und ermordeten. Immer wieder wird versucht, Wagner’s Musik und Antisemitismus voneinander zu trennen, um Wagnerwerke aufführbar zu machen.

„Die schmerzlichen Fragen zur Rolle von Wagners Musik im NS-Staat und zum Zusammenhang von Wagners Rassenantisemitismus und Auschwitz werden verdrängt.“

– Gottfried Wagner (Urenkel Richard Wagners)

Auch wenn sich öffentliche Medien breit gefächert mit Wagners Musik, seinem antisemitischen Gedankengut und der späteren Involvierung der Wagner Familie im NS-Regime auseinandersetzen, findet die Stadt Bayreuth keinen kritischen Umgang mit dem Erbe ihrer traurigen Berühmtheit. Die Stadt Bayreuth inszeniert zwar in geringem Maße eine scheinkritische Auseinandersetzung, diese dient aber nur dazu, das Stattfinden der Festspiele zu legitimieren. Auch ist das Stadtbild von Bayreuth geprägt von heldenmütigen Wagnerstatuen und Wahrzeichen, die nicht nur eine romantische Verklärung der Geschichte, sondern sogar eine Verherrlichung der antisemitischen und nationalsozialistischen Vergangenheit Wagners und zentral Bayreuths bis in die Gegenwart darstellen. Die (Mit-)Täter*innenschaft der Familie Wagner an Hitlers nationalsozialistischer Machtübergabe, der Ausbreitung des NS-Regimes und der Shoah (האוש) werden unter den braunen Teppich gekehrt.

„Richard Wagner? Ein strahlender Giftschrank, den es verantwortlich zu entsorgen gilt.“ [2]

Die seit 1876 stattfindenden Wagnerfestspiele bilden noch immer das kulturelle Highlight des Jahres, auf welches sich die „ganze“ Stadt freudig ausrichtet. Auch hochrangige Politiker*innen wie Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel, Jens Spahn und andere Vertreter*innen der Bourgeoisie sind jedes Jahr zu Gast. Sie genießen das ruhige und konservativ-bürgerliche Hinterland und lassen es sich hier gut gehen.

Richard Wagner und der Antisemitismus

Komponist, Genie, Wahnsinn, Revolutionär, Antisemit…Es gibt viele unterschiedliche Beschreibungen Richard Wagners, dem weit verehrten Begründer der Bayreuther Festspiele. Mit Bezug auf den Antisemiten Wagner hält sich bis heute ein hartnäckiger Mythos: „Ach, so schlimm antisemitisch war Wagner doch auch nicht! Das war eben der normale Zeitgeist.“

Nur der Zeitgeist? In seinem Pamphlet von 1850 „Das Judenthum in der Musik“ schreibt er:

„Der Jude an sich sei „unfähig“, sich künstlerisch auszudrücken, weder durch seine äußere Erscheinung noch durch seine Sprache und am allerwenigsten durch seinen Gesang.“ [3]

„…die jüdische Rasse für den geborenen Feind der Menschheit und alles Edlen in ihr: daß namentlich wir Deutschen an ihnen zugrunde gehen werden, ist gewiß, und vielleicht bin ich der letzte Deutsche, der sich gegen den bereits alles beherrschenden Judaismus
als künstlerischer Mensch aufrechtzuerhalten wußte.“ [4]

Damit bekundet Wagner schon frühzeitig seine antisemitische Position in dem er nach paradoxen konstitutiven Rassismusparadigmen, jüdischen Menschen die Fähigkeit der kulturellen Entfaltung abspricht und sogleich den „zersetzenden Einfluss der Juden auf die deutsche Kultur“ heraufbeschwört. Diesem zerstörenden Einfluss von „Jüd*innen“ gegenüber „Deutschen“ könne nur durch die „Erlösung durch (Selbst-) Vernichtung“ entgegengekommen werden. Dies drückt er deutlich mit der an jüdische Menschen gerichteten menschenverachtenden Prophezeiung zum Ende seines Pamphlets aus:

„Aber bedenkt, dass nur Eines eure Erlösung […] sein kann: […] der Untergang!“[5]

Aufgrund Wagners wirkungsmächtiger Position in Politik und Gesellschaft ist seine Schrift „Das Judenthum in der Musik“ nicht etwa nur ein bloßes Nebenprodukt des „antisemitischen Zeitgeistes“, sondern Wagner selbst ist zentraler Vordenker eines modernen Antisemitismusverständnisses, das sich nach Gründung des deutschen Reichs im Jahre 1871 drastisch ausweitet.[6] In den 1870er Jahren sehen sich die Frischvermählten, Richard und Cosima Wagner (geb. Liszt) gemeinsam am „Anfang eines Kampfes“ gegen das „unangenehm [jüdische] Fremdartige“, das nach Ihren Vorstellungen in keiner Weise zum neu gegründeten deutschen Reich dazugehören könne.

Richard Wagner stirbt 1883, doch sein geistiges antisemitisches und
menschenfeindliches Erbe dient vielen seiner Nachkommen, dem Rassentheoretiker Edward Houston Chamberlain und Adolf Hitler als ideologisches Vorbild. Die musischen Werke Wagners finden später hohen Anklang unter den braunen Machthabern, sodass die klanggewaltige Tonsprache Wagners später einen prägnanten Teil der
nationalsozialistischen Propaganda, die den Aufbau einer nationalsozialistischen Diktatur und die kompletten Zerstörung von jüdischem Leben anstrebt, bildet.

Der Holocaust, also die „Endlösung der Judenfrage“, wie die Nationalsozialisten seit Juli 1941 ihr Ziel der Vernichtung von 6 Millionen jüdischen Menschen nannten, war keine krude Fantasie, die ganz plötzlich in Nazi-Köpfen entstanden ist. Bereits im Kopfe des
glühenden Antisemiten Wagner waren dies bereits konkrete Vorstellungen, die letztlich von den Nazis umgesetzt wurden.

Die Familie Wagner, Hitler und der Nationalsozialismus

Ohne die wirkungsmächtige Unterstützung von Kapital, Unternehmer*innen, aber auch Wissenschaftler*innen, Künstler*innen und Kulturschaffenden hätten Hitler und der Nationalsozialismus nicht groß werden und so lange überleben können. Zum engen Unterstützer*innenkreis gehören die Familie Wagner seit der ersten Stunde.

Nach dem Tode Richard Wagners in den 1880er Jahren baut seine Ehefrau Cosima Wagner ab den 1920er Jahren eine enge Freundschaft zwischen Adolf Hitler und der Familie Wagner auf. Bei einem Tässchen Tee oder Kaffee im Haus Wahnfried (Wohnhaus der Familie Wagner) sinnieren die Wagners mit Familienfreund Hitler über die
systematische Auslöschung von jüdischen Menschen und treffen Vorbereitungen zur Etablierung der NS-Diktatur. Noch zu Zeiten der Weimarer Republik, entwickelt sich mit dem berühmt berüchtigten sogenannten „Bayreuther Kreis“ um Hitler, Cosima Wagner und Houston Stewart Chamberlain, ein völkisches Netzwerk für Nationalsozialisten und einflussreiche Antisemiten mit Bayreuth als Zentrum.

Vor allem zum in die Wagner Familie eingeheirateten Rassentheortiker Chamberlain (Ehemann von Eva Wagner) pflegte Hitler vor seiner Machtergreifung eine enge private und politische Freundschaft. Unter dem Deckmantel der „Wissenschaftlichkeit“ schuf der Biologe, Historiker, und leidenschaftliche Wagnerianer, die ideologische Grundlage für Hitlers Antisemitismus und die Aufforderung die deutsche Kultur vor jeglicher „rassischer Durchmischung“ sowie jüdischen Einflüssen „zu schützen“. Chamberlains Gedankengänge zum politischen Kampf, Rassenpolitik, und dem Holocaust, veröffentlicht in seinem berühmtesten Werk „Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts“ (1899), verarbeitet Hitler in seiner Bekenntnisschrift „Mein Kampf“ (1925).

Auch zu den überzeugten NSDAP Anhänger*innen Siegfried (Sohn von Richard und Cosima Wagner), seiner Frau Winifred Wagner (geb. Williams-Klindworth), sowie zu den gemeinsamen vier Kindern (insbesondere zu Wolfgang, Wieland und Verena) besteht ein inniges Verhältnis.

Nicht nur die gleichen menschenfeindlichen Rassenideologien und der Judenhass wurden geteilt, sondern die Wagners waren im kleinen, beschaulichen Bayreuth Wagners eine Art „Ersatz-Familie“ für Hitler.[7]

„Wir gehörten mit zu denen die unentwegt an den Führer glaubten, an die nationalsozialistische Idee glaubten und haben ich kann wirklich sagen, durch dick und dünn zu ihm gestanden.“[8]

Auch spielt die Familie Wagner die entscheidende Rolle bei dem KZ-Außenlager in Bayreuth, welches ohne Unterstützung der Familie Wagner nie eingerichtet worden wäre. Der Leiter des KZs und SS-Offizier Bodo Lafferentz, verheiratet mit Verena (der Tochter von Winifred und Siegfried) führte zusammen mit seiner rechten Hand und Schwager Wieland Wagner die KZ Außenstelle in Bayreuth.[9]

Bayreuth und die Festspiele

Erstmalig fanden die Bayreuther Festspiele unter der Leitung Richard Wagner selbst 1876 statt und entwickelten sich mit Finanzspritzen des deutschen Kaisers und König von Preußen Wilhelm I., zu einer wichtigen Institution deutscher Opernkunst. Nach dem Tod Wagners übernimmt seine Frau Cosima, die sich selbst auch als „Gralshüterin“
verstand, die Festspiele und bewacht die Erbreihenfolge mit Argusaugen. Die Festspiele sollten unbedingt in der Hand des nationalistischen Kern der Familie bleiben, sodass Isolde Wagner (später Beidler) aufgrund der anti-nationalistischen Aussagen ihres Ehemann Franz Wilhelm Beidler, aus den engen Familienkreisen ausgeschlossen wurde.

„Wenn im Nationalsozialismus überhaupt eine Ideologie, eine Gesinnung enthalten ist, so ist es zu einem erschreckend großen Teil Bayreuths Gesinnung.“ [10]

Mit Cosimas Tod übernimmt kurzzeitig Siegfried die Leitung aber verstirbt noch im selben Jahr, sodass ab 1930 nun seine Frau Winifred die Festspiele leitet. Bayreuth und die Festspiele werden nach Hitlers Machtübergabe 1933 zum zentralen Aushängeschild des „deutschen“ arischen Staates und zur zentralen, kulturellen NS-Propaganda Maschine. Deshalb sind die Stadt Bayreuth, die Wagners und der
Nationalsozialismus nicht voneinander zu trennen.

Ganz im Gegenteil. Vielmehr ist auch die Stadt Bayreuth tief in den brauen nationalsozialistischen Wagner-Sumpf verwoben. So entwickelt sich Bayreuth ab den 1920er Jahren zur die geistigen und politische „Hochburg eines mit Bildungsanspruch verbundenen Antisemitismus“.[11] Die gesamte Region um Franken wird zur ideologischen und politischen Basis des nationalsozialistischen Reiches. So bezeichnete Hitler Bayreuth und Nürnberg als seine Lieblingsstädte. Schon lange vor den NS-Rassengesetzen wurden unter der Leitung Cosima Wagners jüdische Musiker*innen strukturell aus den Ensemble und Inszenierungen ausgeschlossen.

Trotz der entscheidenden Rolle der Wagners im Nationalsozialismus bleibt das gesamte Vermögen und das Festspielhaus nach Kriegsende in den Händen von Winifred Wagner. Anstatt einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Nazi-Erbe der Wagners in die neu gegründete Bundesrepublik folgt eine ernüchternde Rezeption der
Mittäter*innenschaft bei der einfach so getan wird als ob „gar nichts“ passiert wäre. Die exakt gleichen Nazi-Wagners, die Hitler und die NSDAP in Bayreuth herzlich willkommen geheißen haben, begrüßen nun nach Kriegsende die Bundespräsidenten und Bundeskanzler der Bundesrepublik. Wolfgang und Wieland Wagner, die noch ein paar Jahre zuvor Hitler liebevoll als ihren „Onkel Wolf“ bezeichneten, verhindern und untersagen ab dieser Zeit jegliche als „politisch“ klassierte Aufarbeitung. Auch bis heute unter Leitung der Katharina Wagners (Tochter Wolfgang Wagners) hat sich daran nichts getan. Eine Entnazifizierung hat bei den Wagner Festspielen nie stattgefunden. Heute drückt sich das „Who is Who“ der Politiker*innen und Künstler*innen Prominenz jährlich bei den stattfindenden Festspielen die Klinke in die Hand.

Noch ein kleiner Fakt am Rande: Erst 2013 wurde Hitler die Ehrenbürgerschaft durch den Bayreuther Stadtrat entzogen. Die Abgründe der gesamten völkischen Deutschtümelei sind in Bayreuth überall zu finden und werden von der Stadt und der
Familie Wagner weiterhin unter den brauen Teppich gekehrt. Statt einer progressiven und offensiven Auseinandersetzung mit dem eigenen Nazi-Erbe verleugnen Stadt und die Wagners weiterhin ihre eigene Rolle im tiefbraunen volkstümlichen Sumpf.

[1] Gottfried Wagner (2013). Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Richard Wagner – Ein Minenfeld.
Propyläen Verlag, Berlin.
[2] ibid.
[3] Das Gupta, Oliver (2013). Judenhasser und Komponist. Der Paranoia-Fall Richard Wagner. https://www.sueddeutsche.de/politik/judenhasser-und-komponist-der-paranoia-fall-richard-wagner-1.1678112
[4] Klee, Ernst (2007). Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Frankfurt am Main: S. Fischer.
[5] ibid.
[6] Das Gupta, Oliver (2013). Judenhasser und Komponist. Der Paranoia-Fall Richard Wagner. https://www.sueddeutsche.de/politik/judenhasser-und-komponist-der-paranoia-fall-richard-wagner-1.1678112.
[7] siehe BR Klassik (2021) (https://www.br-klassik.de/themen/bayreuther-festspiele/geschichte/wagner-geschichte-102.html)
[8] siehe Winifred Wagner 1943: Die Wagners und Bayreuth. Eine Deutsche Geschichte (https://www.youtube.com/watch?
v=Te3BLOK_GHQ)
[9] Skriebeleit, Jörg (2017): Bedenkliche Vetternwirtschaft (https://www.kurier.de/inhalt.bedenkliche-
vetternwirtschaft.2c90da7c-f206-422e-aefb-cc9e180104b2.html)
[10] Beidler (https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Wilhelm_Beidler)
[11] Brumlik, Micha (2020).Antisemitismus. 100 Seiten. Ditzingen: Reclam, S. 56.