Politische Ökonomie

Die Politische Ökonomie ist die Wissenschaft, die sich mit der Herstellung der materiellen Grundlagen der menschlichen Gesellschaften und ihren Gesetzmäßigkeiten beschäftigt. Sie dreht sich um die Frage, auf welche Weise die Menschen in den verschiedenen historischen Epochen den Produktionsprozess organisieren und welche Verhältnisse sie untereinander in Bezug auf diesen Prozess eingehen (Produktionsverhältnisse). Im Gegensatz zum Tier wirkt der Mensch durch die Arbeit bewusst auf die Natur ein, verändert sie nach seinen Vorstellungen und schafft sich so aktiv die Produkte und Lebensbedingungen, die er benötigt. Die Herstellung der lebensnotwendigen Güter ist kein einmaliger Vorgang, der irgendwann abgeschlossen wäre.

Reproduktion

Der Produktionsprozess muss fortwährend erneut beginnen. Lebensmittel werden verbraucht, Maschinen abgenutzt, Gebäude verfallen. Die Menschen müssen daher beständig die Bedingungen wiederherstellen (reproduzieren), die sie in die Lage versetzen, die Produktion erneut aufzunehmen und kontinuierlich weiterzuführen. Aufgebrauchte Rohstoffe müssen ebenso ersetzt werden wie abgenutzte oder veraltete Werkzeuge und Maschinen. Aber auch die Menschen selbst müssen sich selbst beständig ‚wiederherstellen’. Sie benötigen Nahrung und Erholung zur Wiederherstellung ihrer im Produktionsprozess verausgabten Kräfte. Sie benötigen Ersatz für verschlissene Kleidung oder nicht mehr brauchbare Gebäude. Sie müssen die Fertigkeiten und Kenntnisse, die sie im Produktionsprozess anwenden weitergeben, damit. die Produktivkraft der menschlichen Arbeit erhalten und entwickelt wird. In der bewussten und ständig reproduzierten Anwendung von gemeinschaftlich erarbeiteten Kenntnissen und Fähigkeiten entwickelt sich die Produktivkraft der Arbeit in Form von Bewusstsein und konkreter Technologie. Schließlich benötigen die Menschen Ersatz für sich selbst.

Alte und Kranke scheiden aus dem Produktionsprozess aus, für sie müssen immer wieder genügend junge Menschen mit entsprechenden Fähigkeiten und Kenntnissen bereitstehen. Der Reproduktionsprozess bildet die materielle Basis aller menschlichen Gesellschaften. Deshalb steht er in enger Wechselwirkung mit allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, also etwa der Politik, der Kultur, des Rechtswesens, der Ideologie, den Familienverhältnissen etc. (dem gesellschaftlichen Überbau). Der Reproduktionsprozess ist jedoch nicht in allen Gesellschaften auf die gleiche Weise organisiert. In urgesellschaftlichen Gemeinschaften geht der Reproduktionsprozess anders vor sich als in antiken Sklavenhaltergesellschaften, im Feudalismus, im Kapitalismus oder im Sozialismus.

Zum einen unterscheiden sich die Produktivkräfte und damit die Mittel und Gegenstände der Arbeit in den verschiedenen historischen Epochen. Zum anderen – und damit in Wechselwirkung – unterscheiden sich die Verhältnisse, die Menschen in Bezug auf den Produktionsprozess einnehmen, die Produktionsverhältnisse, die charakterisiert werden durch die Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln, die Klassenverhältnisse. Ein antiker Sklave nimmt eine andere gesellschaftliche Stellung ein als ein Leibeigener oder ein Arbeiter, ein Feudalherr eine andere als ein Kapitalist. Die Beziehungen zwischen den gesellschaftlichen Klassen – das Verhältnis von Sklavenhalter und Sklave ist ein anderes als das von Kapitalist und Lohnarbeiter – unterscheiden sich ebenso wie die Verhältnisse innerhalb der jeweiligen Klassen.

Auch die Klassenverhältnisse bilden sich innerhalb der Entwicklung einer Gesellschaft immer wieder neu. Während die Menschen sich selbst und die Mittel und Gegenstände ihrer Arbeit reproduzieren, stellen sie zugleich auch die Verhältnisse wieder her, die diese spezifische Gesellschaft konstituieren. Ein Leibeigener reproduziert mit seiner Arbeit sich selbst, seine Frau und seine Kinder aber auch den Feudalherren und gibt diesem die Mittel, die ihn zum Feudalherren machen. Der Leibeigene reproduziert also mit seiner Arbeit das Feudalsystem.

Zusammenfassend können wir festhalten, dass der Begriff des Reproduktionsprozesses bei Marx die beständige Wiederherstellung der Produktionsweise umfasst, d.h. der Produktivkräfte (Menschen und sachlichen Bedingungen, Produktionsmittel) und ihre Wechselwirkung mit den Produktionsverhältnissen, d.h. den ökonomischen, sozialen, politischen und ideologischen Verhältnissen, unter denen sich die Produktion vollzieht. Die politische Ökonomie beschäftigt sich mit den Gesetzmäßigkeiten, wie sich die Produktionsweisen reproduzieren, entwickeln und weiterentwickeln, der Feudalismus zum Kapitalismus und besonders der Kapitalismus zum Sozialismus.

Ausbeutung

Klassenverhältnisse beruhen auf der ungleichen Stellung der Menschen zum Prozess der materiellen Produktion. Die Urgesellschaft kam an ihr Ende, als der Mensch regelmäßig in der Lage war, mehr zu produzieren, als er für sein eigenes Überleben benötigte. Die Produktivkräfte erreichten ein Niveau, das es ermöglichte, die für die Versorgung der eigenen Familie erforderliche Zeit auf einen Teil des Arbeitstages zu beschränken. Mit den in der verbleibenden Zeit hergestellten Dingen, dem so genannten Mehrprodukt, konnten nichtarbeitende Bevölkerungsteile versorgt werden. Diese Bevölkerungsteile waren z.B. Priester, Soldaten, Künstler oder Staatsdiener.

Die Fähigkeit, kontinuierlich über den eigenen Bedarf hinaus zu produzieren, ist die wichtigste ökonomische Errungenschaft in der Entwicklung der Menschheit. Sie wurde zugleich zur Basis von Ausbeutung und Unterdrückung. Sobald sich bestimmte Teile der Bevölkerung als herrschende Klasse etablieren konnten, beschränkten sie den Konsum der arbeitenden Menschen auf ein mehr oder minder großes Minimum und eigneten sich das Mehrprodukt an. Sie nutzten es zur Bestreitung ihres eigenen, in aller Regel luxuriösen Lebensstandards, ebenso wie zum Aufbau von politischen und ideologischen Unterdrückungsapparaten Diese nahmen alle möglichen Formen an: Von der gewaltsamen Niederhaltung von Protesten durch Polizei und Militär bis hin zur ideologischen Prägung in den Schulen – sie verhinderten, dass die Arbeitenden sich aus den ihnen feindlichen Zwangsstrukturen befreien konnten.

Alle Klassengesellschaften beruhen auf der unentgeltlichen Aneignung der Produkte fremder Arbeit. Die Formen dieser Aneignung sind jedoch in jeder historischen Produktionsweise sehr verschieden. In der Sklaverei scheint es so, als erhielten die Sklaven gar nichts für ihre Arbeit. Doch dieser Schein trügt: Auch sie benötigen Nahrung, Kleidung und Unterkunft. Auch der brutalste Sklavenhalter kann sich vom Arbeitsprodukt seiner Sklaven nur den Teil aneignen, der nach Abzug des zum Leben Notwendigen übrig bleibt. Handelte er anders, wäre er bald kein Sklavenhalter mehr. Im Feudalismus ist das Verhältnis von notwendiger und Mehrarbeit relativ offensichtlich. Der Bauer wusste genau, wann er auf eigenem Feld arbeitete und wann er Frondienst auf den Feldern seines Herrn leistete. Er wusste, welchen Teil seiner Ernte seine Familie verbrauchen konnte und welchen Teil er dem Herrn abliefern musste. Im Kapitalismus ist die Ausbeutung hingegen versteckt.

Arbeiter und Kapitalist treten sich in der Regel als juristisch freie und gleiche Menschen gegenüber. Sie gehen Vertragsverhältnisse miteinander ein und es scheint so, als bekäme der Arbeiter den ganzen Arbeitstag bezahlt. Der bürgerliche Begriff der Ausbeutung beschränkt sich deshalb auf Arbeitsverhältnisse, die nicht auf dem freien Markt ausgehandelt sind. Erst die wissenschaftliche Analyse macht deutlich, dass hinter dem liberalen Handel und Wandel Zwangsverhältnisse stehen, die den Arbeiter mit ebensolcher Gewalt zum Ausbeutungsobjekt degradieren wie die Knute den Sklaven oder Leibeigenen. Sie zeigt auf, dass der Reichtum der Oberschichten heute nicht weniger Produkt der Aneignung fremder Arbeit ist als in der Antike oder im Mittelalter. Die Methoden dieser Aneignung, die Funktionsweise der kapitalistischen Produktionsweise, unterscheiden sich jedoch grundlegend von denen früherer Epochen.

Die Ware

Grundlegendes Merkmal des kapitalistischen Reproduktionsprozesses ist die dominierende Rolle, die die Warenproduktion in den ökonomischen Prozessen einnimmt. Um den fundamentalen Unterschied zu vorkapitalistischen Gesellschaften zu verstehen, muss man sich klarmachen, dass bei Weitem nicht jedes Produkt menschlicher Arbeit auch zugleich Ware ist.

Zur Ware wird ein Produkt nur dann, wenn es gegen andere Dinge ausgetauscht bzw. für den Austausch hergestellt wird. Die Wareneigenschaft liegt nicht in der Natur der gehandelten Gegenstände selbst begründet. Das von einer Köchin im Restaurant zubereitete Essen ist eine Ware, serviert sie es aber zu Hause ihrer Familie, ist es das nicht. Die Kartoffelernte des Großbauern wird auf dem Markt verkauft und ist somit Ware. Die zum Selbstverzehr angebauten Kartoffeln des Hobbygärtners, mögen sie auch genauso dick sein, sind es nicht. Man kann eine Ware zerlegen und unter dem Mikroskop untersuchen, nirgends wird so etwas wie ein spezielles „Warenatom” zu finden sein.

Ob ein Produkt zur Ware wird entscheidet nicht seine physische Beschaffenheit, sondern die Beziehung zwischen den Menschen, die es herstellen und/oder sich aneignen. Es spielt dabei für die Wareneigenschaft dieses Produktes keine Rolle, ob es materieller oder immaterieller Natur ist, ob es sich um Gegenstände oder beispielsweise um Dienstleistungen handelt, entscheidend ist seine Bestimmung zum Austausch mit anderen Produkten. Ebenso wenig, wie alle Produkte Waren sind, sind alle Gesellschaften warenproduzierende Gesellschaften.

In den Urgesellschaften sind die Produkte der Arbeit Gemeineigentum des Stammes. Nur einige besondere Produkte, deren Herstellung besondere Erfahrung (Produktivkraft) erforderte, wurden getauscht. Auch der antike Sklave tauschte seine Produkte nicht aus. Sie waren, ebenso wie er selbst, von vornherein Eigentum seines Herrn. Der leibeigene Bauer war in erster Linie Selbstversorger. Zwar musste er einen bedeutenden Teil seiner Erträge an Adel und Kirche abliefern, jedoch erhielt er dafür keine Gegenleistung. Lediglich gewisse Überschüsse konnten zum Markt gebracht werden und erhielten somit Warencharakter.

Mit zunehmender Arbeitsteilung wuchsen Produktivkraft und Überschüsse, es entstanden Handwerk und Handel. Aus Handwerkern und Händlern entwickelte sich die Bourgeoisie, die Klasse der Kapitalisten. Während die Warenproduktion in den vorkapitalistischen Gesellschaften in der Regel auf Randbereiche beschränkt blieb, wurde sie im Kapitalismus dominierend und bestimmt alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Nahrung, Kleidung, Grund und Boden, Kulturgüter, Bildung und Sexualität, es gibt nichts, was nicht ge- und verkauft würde. Für das Verständnis der Ökonomie unserer Epoche ist es daher unabdingbar, sich näher mit dem Begriff der Ware zu beschäftigen.

Der Wert der Waren

Waren können, wie andere Produkte auch, bestimmte menschliche Bedürfnisse befriedigen. Brot stillt Hunger, Kleidung wärmt, Autos dienen der Fortbewegung etc. Diese Eigenschaften der Waren nennen wir ihren Gebrauchswert. Waren haben aber noch eine andere Seite: Sie ermöglichen es ihrem Besitzer, sie gegen andere Waren auszutauschen.

Als Besitzer einer Ware, sagen wir eines Tisches, kann ich andere Waren erwerben. Ich kann meinen Tisch beispielsweise gegen zwei Paar Schuhe, gegen vier Kästen Bier oder gegen drei Bände des ‚Kapital’ eintauschen. Diese Eigenschaft einer Ware ist ihr Tauschwert. Die zwei Paar Schuhe, die vier Bierkästen oder die drei Bücher wären in unserem Beispiel die Tauschwerte des Tisches. Da jede Ware beide Seiten, Gebrauchswert und Tauschwert aufweist, sprechen wir vom ‚Doppelcharakter der Waren’.

Nun sind die Tauschwerte der Waren quantitativ sehr unterschiedlich, ein Auto oder ein Goldbarren hat einen sehr viel höheren Tauschwert als ein Tisch oder ein Brot. Die Höhe des Tauschwertes einer Ware hat nichts mit ihrem Gebrauchswert zu tun. Zwar kann ich für ein Auto sehr viel mehr Dinge eintauschen als für ein Brot, es ist jedoch sinnlos zu sagen, das Brot sei weniger nützlich. Die Größe des Tauschwertes ist vom Gebrauchswert der Ware unabhängig. Dies wirft die Frage auf, was die Größe der Tauschwerte bestimmt, was hinter den verschiedenen Austauschrelationen steht.

Die Antwort auf diese Frage liefert das Wertgesetz. Es besagt, dass der Wert einer Ware durch die zu ihrer Herstellung gesellschaftlich durchschnittlich notwendige menschliche Arbeitszeit bestimmt ist. Damit ist die Arbeitszeit gemeint, die durchschnittlich qualifizierte Arbeitskräfte, denen eine zum gegebenen Zeitpunkt durchschnittliche Technologie zur Verfügung steht, für die Produktion dieser Ware aufwenden müssen. Ein Tisch, in dem 12 Stunden gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit verwirklicht sind, hätte demnach den vierfachen Wert eines Bierkastens, für dessen Herstellung nur 3 Stunden erforderlich sind. Es ist wichtig zu betonen, dass nicht die tatsächlich aufgewendete Arbeitszeit wertbildend wirkt, sondern die unter gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen üblicherweise erforderliche.

Alle Waren haben eines gemeinsam: Sie sind Produkte menschlicher Arbeit. Im Austausch setzen die Warenbesitzer qualitativ unterschiedliche Produkte menschlicher Arbeit einander gleich: „Mein Tisch ist so viel wert wie deine vier Kästen Bier“. Das Verhältnis, in dem Arbeitsprodukte miteinander in Beziehung gesetzt werden, wird dabei in letzter Instanz durch die Menge der in ihnen vergegenständlichten notwendigen Arbeitszeit bestimmt. Wenn ein besonders fauler oder ungeschickter Arbeiter 20 Stunden für die Herstellung eines Tisches benötigt, den ein durchschnittlicher Kollege in 12 Stunden produzieren kann, wird dieses Produkt dadurch natürlich nicht wertvoller. Umgekehrt: gelingt es einer Arbeiterin, ihre Ware in kürzerer als der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit herzustellen, dann hat sie in kürzerer Zeit dieselbe Wertmenge geschaffen.

Aus dem Gesagten ergibt sich, dass der Wert einer bestimmten Ware nicht ein für allemal Gegebenes ist. Er verändert sich durch den technologischen Fortschritt, also der wachsenden Produktivkraft der Arbeit, aber auch durch Rahmenbedingungen wie die Verfügbarkeit von Rohstoffen. Je weiter eine Gesellschaft die Produktivkräfte entwickelt, desto mehr Produkte kann ein durchschnittlicher Arbeiter in einer gegebenen Zeiteinheit – zum Beispiel einer Woche – herstellen. Der Wert der einzelnen Ware, die gesellschaftlich durchschnittlich notwendige Arbeitszeit zu seiner Herstellung, sinkt. Die notwendige Arbeitszeit beinhaltet nicht nur die Zeit innerhalb der unmittelbar am Endprodukt gearbeitet wird, sondern auch alle erforderlichen Vorarbeiten wie die Förderung der Rohstoffe, die Herstellung der Vorprodukte, notwendige Transporte etc. Auch der Wert der Maschinen und Werkzeuge geht anteilsmäßig auf das Endprodukt über.

Eine Maschine, deren Herstellung 100 Arbeitsstunden erfordert und mit der im Laufe ihres Lebens durchschnittlich 1000 Produkte gefertigt werden können, überträgt auf jedes Stück ein Tausendstel ihres Wertes, also 6 Minuten. Maschinen, Baulichkeiten, Rohstoffe etc. werden vom Kapitalisten vorgeschossen. Marx spricht hier vom konstanten Kapital, weil diese Dinge ihren Wert lediglich auf das Endprodukt übertragen, aber keine neuen Werte schaffen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich der Wert einer Ware aus der Summe der ‚lebendigen’, das heißt der von den Arbeitern in ihrem unmittelbaren Produktionsprozess verausgabten Arbeit und der ‚toten’, d.h. der für die Herstellung der Rohstoffe, Maschinen, Gebäude etc. benötigten Arbeit ergibt. Selbstverständlich wird der Wert nicht so bestimmt, dass jemand mit der Stoppuhr neben den Arbeitern stünde und aus den Messergebnissen die Austauschverhältnisse kalkulierte. In der entwickelten Warenproduktion – dem Kapitalismus – setzt sich das Wertgesetz vielmehr hinter dem Rücken der handelnden Menschen durch. Die Produzenten versuchen, ihre Ware zu bestmöglichen Konditionen zu veräußern. Die Abnehmer suchen den günstigsten Anbieter.

Vielleicht schaffen es die Anbieter einer Branche, ihre Waren zu einem Marktpreis über Wert loszuschlagen und sich damit anderen gegenüber Vorteile zu verschaffen. Die Aussicht auf solche Vorteile wird aber über kurz oder lang Konkurrenten auf den Plan rufen, die ebenfalls in dieser Branche tätig werden. In der Folge drückt ein zusätzliches Angebot die Austauschverhältnisse, die Marktpreise wieder auf das Normalmaß entsprechend dem Wertgesetz. Andersherum: In einer Branche, die nicht in der Lage ist, den Wert ihrer Produkte zu realisieren, werden so lange Anbieter abwandern oder in Konkurs gehen, bis das Angebot hinreichend verknappt ist, um wieder mindestens durchschnittliche Verhältnisse zu gewährleisten. Innerhalb dieses beständig wirkenden Prozesses der Preisbildung bildet der Wert das Gravitationszentrum, um das die konkreten Austauschverhältnisse (Preise) durch die Bewegung von Angebot und Nachfrage schwanken.

Das Geld

Im Zuge der historischen Entwicklung der Warenproduktion haben sich immer wieder bestimmte Waren herausgebildet, die eine Sonderstellung gegenüber den anderen Waren einnahmen. In ihnen und mit ihnen wurde der Wert aller anderen Waren gemessen, gegen sie konnten alle anderen Waren jederzeit ausgetauscht werden. Eine solche besondere Ware nennen wir Geldware, das Austauschverhältnis einer Ware mit der Geldware ist ihr Preis. Viele Waren haben in den verschiedensten Gesellschaften die Funktion der Geldware übernommen, beispielsweise Vieh, Bernstein, Muscheln, geflochtene Bänder etc.

Schon früh haben sich jedoch die Edelmetalle als Geldwaren durchgesetzt. Durch ihre natürlichen Eigenschaften (einheitliche Qualität, Haltbarkeit, Prägbarkeit etc.) waren sie für diese Funktion besonders gut geeignet. Insbesondere das Gold wurde zur Geldware und somit zum Symbol des Reichtums schlechthin. Der Wert der Geldware ist genauso bestimmt, wie der Wert aller anderen Waren – also durch die Arbeitszeit, die zur Produktion einer bestimmten Menge dieser Ware benötigt wird. Im Falle des Goldes schließt dies die Zeit ein die Goldminen zu finden, sie auszubeuten, das Gold zu Barren einheitlicher Qualität zu gießen, gegebenenfalls zu münzen und sicher an seinen Bestimmungsort zu transportieren. Maßstab der Preise wurden die entsprechenden Mengen der Geldware. Statt zu sagen, mein Tisch ist so viel Wert wie vier Bierkästen oder zwei Paar Schuhe oder drei Bände ‚Kapital’ kann ich nun angeben, er hätte den Wert einer sechstel Feinunze Gold, der Bierkasten den einer vierundzwanzigstel Feinunze.

In genau definierten Metallmengen zur Münze gepresst wurden Edelmetalle als Zahlungsmittel leicht handhabbar. Viele Währungen, etwa die Mark oder das Pfund, verdanken ihre Namen daher ursprünglich Gewichtseinheiten oder gehen historisch auf als Geldware verwendete Edelmetalle zurück, so beispielsweise der Taler (Dollar) auf das Joachimstaler Silber. Geldscheine und Münzen aus minderwertigen Metallen sind kein Geld aus Geldware, sondern Geldzeichen. Wenn ich im Besitz eines Papierscheines bin, den jeder jederzeit gegen eine bestimmte Menge der Geldware (Gold) eintauschen kann, dann benötige ich die Geldware zum Warenkauf nicht. Der Verkäufer wird den Geldschein an Stelle des Goldes akzeptieren, denn er kann ihn auf Wunsch jederzeit in Gold verwandeln.

Der Umlauf von Geldscheinen kann sich daher gegenüber der Geldware weitgehend verselbständigen und sogar den Anschein völliger Eigenständigkeit erhalten. Sobald sie aber ihre Funktion als Geldzeichen verlieren – d.h. sobald sie sich in Währungskrisen nicht mehr jederzeit gegen die Geldware austauschen lassen, werden sie wertlos. Sie werden wertloser als das Papier, auf dem sie gedruckt wurden, weil das bedruckte Papier zwar Produkt von Arbeit ist, aber keinen Gebrauchswert mehr hat.

Die Zirkulation (der Kreislauf) von Ware und Geld

Mit der Zunahme der Arbeitsteilung und mit dem entsprechenden Wachstum der der gesellschaftlichen Produktivkräfte wurden Güter des täglichen Lebens, Geräte und Textilien nicht mehr in Einheit mit der landwirtschaftlichen Produktion hergestellt. Handwerk und Handel verallgemeinerten den Warentausch und den Gebrauch des Geldes. Der Warenaustausch erhält eine neue allgemeine Form. Der direkte Tausch Ware gegen Ware fällt auseinander in zwei getrennte Tauschakte Ware-Geld und Geld-Ware. Zusammengefasst: Ware – Geld – Ware (W – G – W).

Eine Handwerkerin bringt ihre Ware, sagen wir ein Kleid, auf den Markt und tauscht sie gegen Geld aus (W-G). Dieses Geld verwendet sie, um Anschaffungen zu tätigen, also beispielsweise um Lebensmittel zu kaufen (G-W). Der Anfangs- und Endpunkt der betrachteten Bewegung sind Waren gleichen Wertes, aber unterschiedlichen Gebrauchswertes. Die Warenbesitzerin veräußert ihre Ware, die für sie bloßen Tauschwert darstellt, um eine andere Ware zu erhalten, deren Gebrauchswert sie benötigt. Sie verkauft, um zu kaufen. Ein Arbeiter vollzieht eine ähnliche Bewegung, nur mit dem Unterschied, dass er kein Produkt besitzt, das er auf dem Markt veräußern könnte. Die einzige Ware, die er anbieten kann, ist er selbst – genauer gesprochen: seine eigene Arbeitskraft. Den Wert seiner Arbeitskraft, den Lohn, erhält er in Geldform erstattet (W-G) und kann dafür die von ihm und seiner Familie benötigten Waren (G-W) erwerben.

Die Ware “Arbeitskraft”

In der entwickelten Warenproduktion (dem Kapitalismus) erscheinen nicht nur alle lebensnotwendigen Güter als Waren. Die Arbeitskraft, d.h. die Fähigkeit des Arbeiters zu arbeiten, wird selbst zu einer Ware, die auf dem Arbeitsmarkt gehandelt wird. Da der Lohnarbeiter über keine Produktionsmittel verfügt, keine Maschinen, Werkzeuge, Rohstoffe oder Fabrikhallen besitzt, ist er gezwungen, seine Arbeitskraft zu verkaufen. Nicht auf einmal – sonst wäre er Sklave – sondern tage-, wochen- oder monatsweise.

Der Wert der Ware Arbeitskraft bemisst sich genauso wie der Wert jeder anderen Ware auch. Er ist bestimmt durch die für die (Re-) Produktion dieser Ware gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit. Gemeint ist hier die Arbeitszeit, die notwendig ist, um die Dinge zu produzieren, die der Arbeiter zum Leben braucht. Damit der Arbeiter seine Arbeitskraft dem Kapitalisten täglich aufs Neue zur Verfügung stellen kann, benötigt er Nahrung, Kleidung und ein Dach über dem Kopf. Er braucht zu weilen Medikamente und medizinische Hilfe. Für qualifizierte Arbeiten ist ein Minimum an Bildung und Ausbildung erforderlich. Er muss, da er selbst eines Tages aus dem Produktionsprozess ausscheiden wird, für seine Kinder, d.h. seine Nachfolger sorgen. Angenommen, die Waren, die ein Arbeiter täglich für sich und seine Familie benötigt, ließen sich in durchschnittlich drei Stunden herstellen, dann würden diese drei Stunden den Tageswert seiner Arbeitskraft bilden.

Es ist wichtig zu betonen, dass sich der Wert der Arbeitskraft nicht allein durch das physische Existenzminimum des Arbeiters bestimmt, sondern durch das Produktquantum, das in einer bestimmten historischen Situation für die Arbeiter gesellschaftlich als notwendig anerkannt wird. Diese Größe ist historisch durchaus variabel. Durch Streiks und politische Kämpfe können Arbeiterinnen und Arbeiter im Klassenkampf die gesellschaftliche Anerkennung ihrer Bedürfnisse durchsetzen. Es bestehen jedoch gewisse Grenzen für den Wert der Ware Arbeitskraft. Zwar versuchen die Kapitalisten immer wieder, die Arbeitslöhne auf ein Elendsniveau zu drücken, auch werden einzelne Arbeiter oder sogar ganze ‚überflüssige’ Bevölkerungsteile von den notwendigsten Lebensgrundlagen abgeschnitten.

Der einzelne Kapitalist muss in der Konkurrenz alle Kosten, auch die Arbeitslöhne so stark wie möglich senken. Für die Kapitalistenklasse insgesamt muss in längerer Sicht die Reproduktion der Arbeiterklasse als Ganzes jedoch gewährleistet bleiben, denn ohne Arbeiter gäbe es keine kapitalistische Produktion.

Das Kapital

Neben der oben beschriebenen Bewegung W – G – W existiert eine zweite Zirkulationsform, der Tausch von Geld gegen Ware (G – W) und von Ware gegen Geld (W – G): Geld – Ware – Geld (G – W – G). Im Gegensatz zu ersten scheint diese zweite Kreislaufform zunächst sinnlos zu sein. Der Anfangs und Endpunkt der Bewegung sind qualitativ identisch, Geld wird gegen Geld getauscht.

Einen Sinn bekommt das Ganze erst, wenn die Geldsummen am Anfang und am Ende unterschiedlich sind, aus Geld also mehr Geld wird: G – W – G’ (wobei der kleine Strich am G eine zusätzliche Geldmenge bezeichnet). Womit wir es hier zu tun haben, ist der Kreislauf des Kapitals. Unter Kapital verstehen wir eine Wertmenge in Geld- oder Warenform, die vorgeschossen wird, um eine größere Wertmenge zurückzuerhalten. Kapital ist also, wie Marx formulierte, Wert heckender Wert.

Der wissenschaftliche Begriff von Kapital unterscheidet sich von der umgangssprachlichen Verwendung des Wortes. Wer beispielsweise seinen Sparstrumpf als ‚sein Kapital’ bezeichnet, drückt sich politökonomisch gesehen nicht korrekt aus. Nicht jede Geldsumme ist Kapital, und auch Maschinen, Werkzeuge oder Rohstoffe erhalten nur unter bestimmten Umständen die Kapitaleigenschaft. Zu Kapital werden Geld und Waren nur dann, wenn sie sich verwerten, d.h. wenn sie dazu dienen, ihrem Besitzer größere Wertmengen zu verschaffen, als er ursprünglich vorgeschossen hat.

Mehrwert

Damit stehen wir jedoch vor der Frage wieso der Kapitalist Geld gegen mehr Geld tauschen kann. Mit dem Wertgesetz scheint das Kapital unvereinbar zu sein. Kaufe ich eine Ware zu ihrem Wert (GW) und verkaufe sie anschließend wieder zu ihrem Wert (W-G), dann halte ich nach Abschluss dieser Operation dieselbe Geldsumme in der Hand wie am Anfang. Ich hätte mir die Mühe sparen können. Die ebenso nahe liegende wie irreführende Lösung besteht in der Behauptung, der Profit der Kapitalisten stamme aus einem Verstoß gegen das Wertgesetz. Entweder würde er unter Wert einkaufen oder über Wert verkaufen. Er würde also seine Kunden und/oder seine Lieferanten – zu denen gewissermaßen auch seine Arbeiter zählen – über den Tisch ziehen. Bei genauerem Nachdenken erweist sich diese Erklärung jedoch als wenig stichhaltig. Sicher kann sich ein einzelner Kapitalist durch Betrug Vorteile verschaffen. Gelingt es ihm, seine Waren zu teuer zu verkaufen, macht er einen Extraprofit.

Wir müssen aber nicht nur den zufälligen Profit eines einzelnen Geschäftemachers erklären, sondern die Herkunft der Profite aller Kapitalisten. Gesamtgesellschaftlich handelt es sich bei solchem Betrug um ein Nullsummenspiel: der eine gewinnt, was ein anderer verliert. Gelänge es allen Gesellschaftsmitgliedern, immer ‚zu teuer’ zu verkaufen, dann gewönne niemand mehr, denn das, was sie beim Verkauf zusätzlich in die Tasche steckten, verlören sie, sobald sie erneut kauften. Wir benötigen also eine Erklärung für die Herkunft des Profits, die sich nicht bloß auf Kategorien wie Betrug oder Übervorteilung stützt. Eine, die im Einklang mit dem Wertgesetz steht.

Die Kapitalisten machen auch und gerade dann Profit, wenn unterstellt wird, dass alle Waren zu ihren Werten ausgetauscht werden. Dies gelingt ihnen, weil sie auf dem Markt eine Ware vorfinden, die in der Lage ist, mehr Wert zu schaffen, als sie selbst wert ist. Diese Ware ist die menschliche Arbeitskraft. Der Wert der Arbeitskraft ist bestimmt durch die zu ihrer Reproduktion notwendige Arbeitszeit. Also durch den Wert der Waren, die ein Arbeiter benötigt, um sich und seine Familie am Leben zu erhalten. Nehmen wir an, ein durchschnittlicher Arbeiter benötige drei Stunden, um den Wert zu schaffen, der dem Wert der von ihm täglich verbrauchten Güter entspricht.

Unser Arbeiter arbeitet aber nicht drei, sondern acht Stunden täglich. In den ersten drei Stunden reproduziert er den Wert, den er in Form von Lohn erhält. Aber auch in den verbleibenden fünf Stunden schafft er Wert, der in seinen Produkten vergegenständlicht ist. Die Differenz zwischen dem in drei Stunden produzierten Wert, den unser Arbeiter als Lohn erhält, und dem von ihm in acht Stunden produzierten Wert, nennt Marx den Mehrwert. Da die Arbeitsprodukte dem Kapitalisten gehören, gehört diesem auch der Mehrwert. Das Verhältnis der unbezahlten zur bezahlten Arbeit nennen wir Ausbeutungsrate oder Mehrwertrate. In unserem Beispiel wäre die Mehrwertrate = 5h / 3h = 1,66 oder 166%. Anders formuliert: Für jeden Euro, den der Kapitalist seinen Arbeitern zahlt, steckt er sich 1,66 EUR in die Tasche.

Es ist wichtig festzuhalten, dass die Arbeiter dabei nicht über den Tisch gezogen werden. Sie erhalten den vollen Tauschwert für ihre Ware, die Arbeitskraft, nach dem Wertgesetz. Dass der Gebrauch dieser Ware, die Arbeit, dem Kapitalisten mehr einbringt, als sie ihn kostet, ergibt sich nicht aus einer individuellen Betrügerei, sondern aus der Gesetzmäßigkeit der Warenproduktion.

Wir können unsere obige Kreislaufformel nun genauer formulieren: G – W … P … W’ – G’
Dabei steht G für das Geld, das unser Kapitalist vorschießt und mit dem er die für den Produktionsprozess benötigten Waren erwirbt. Für einen Teil dieses Geldes kauft er seine Produktionsmittel, also Gebäude, Maschinen und Rohstoffe, das ist das konstante Kapital c. Den anderen Teil, das variable Kapital v, investiert er in den Ankauf menschlicher Arbeitskraft. Beides zusammen sind die notwendigen Bestandteile des Produktionsprozesses P. Innerhalb dieses Produktionsprozesses wird einerseits der Wert des konstanten Kapitals auf das Produkt übertragen, andererseits durch die geleistete Arbeit neuer Wert geschaffen und im Produkt vergegenständlicht. Das Resultat ist eine Warenmenge W’, die unser Kapitalist nun verkaufen kann. Die Waren W’ sind wertvoller als die Waren W, denn sie enthalten neben dem Wert des zu ihrer Herstellung abgenutzten konstanten Kapitals c den gesamten, durch die Arbeit neu geschaffenen Wert, also sowohl den Wert des variablen Kapitals v als auch den Mehrwert: m: W’ = c + v + m.

Weil in W’ mehr Wert enthalten ist als in W, in Höhe von m, können diese Waren auch für mehr Geld verkauft werden, G’ ist daher größer als G. An keiner Stelle dieses Kreislaufes ist gegen das Wertgesetz verstoßen worden, alle Waren wurden zu ihren Werten getauscht. Dennoch ist der Kapitalist am Ende reicher. Der Arbeiter hingegen verbraucht seinen Anteil am von ihm geschaffenen Neuwert für die Wiederherstellung seiner während der Produktion verausgabten Arbeitskraft. Will er danach weiterleben, ist er gezwungen, seine Arbeitskraft erneut zu verkaufen.

Unser Arbeiter hat also durch seine Arbeit auf dreifache Weise zur Reproduktion der Gesellschaft beigetragen: Er hat erstens seine Arbeitskraft, d.h. sich selbst und seine Familie reproduziert. Er hat zweitens das Kapital des Kapitalisten reproduziert. Und er hat damit drittens die gesellschaftlichen Verhältnisse reproduziert, die ihn zum Arbeiter und den Kapitalisten zum Kapitalisten machen.

Akkumulation

Was geschieht nun mit dem Mehrwert? Prinzipiell kann der Kapitalist auf zwei Arten damit verfahren.

Einen Teil des Mehrwertes muss er für seine individuellen Konsumbedürfnisse verwenden, also das standesgemäße Leben seiner Familie finanzieren, wozu in der Regel gehört Luxusgüter und Statussymbole aufzuhäufen oder auch als Wohltäter aufzutreten.

Den anderen Teil seines Mehrwertes kann er seinem ursprünglichen Kapital hinzufügen. Die Vergrößerung eines Kapitals aus dem von ihm gewonnenen Mehrwert nennt man Akkumulation.

Wie groß die jeweiligen Anteile sind, steht dem Kapitalisten juristisch frei, ökonomisch jedoch nicht. Würde er seinen gesamten oder auch nur einen zu großen Teil seines Mehrwertes individuell verzehren, geriete er früher oder später gegenüber seinen akkumulierenden Klassengenossen ins Hintertreffen, sein Kapital ginge im Konkurrenzkampf unter. Der Heißhunger nach Mehrwert ist daher keine individuelle Marotte der Kapitalisten, keine schlechte Charaktereigenschaft und geht auch nicht zwangsläufig mit persönlicher Gier einher. Es ist vielmehr eine notwendige Funktion, die der Kapitalist als Repräsentant eines gesellschaftlichen Verhältnisses ausüben muss.

Übt er sie nicht aus, verliert er im Konkurrenzkampf seine Funktion als Kapitalist. Sein Kapital wird durch Konkurs oder Übernahme durch ein anderes Kapital verschwinden. Appelle an das soziale Gewissen der Kapitalisten sind daher ebenso naiv wie pathetische Anklagen gegen deren Gewinnsucht. Erst recht unhaltbar sind Versuche, die Ausbeutung nur einer bestimmten Gruppe von Kapitalisten anzulasten, wie es etwa Nazi-Propagandisten gegenüber dem ‚jüdischen Kapital’ versuchen.

Die Ideologie der Nazis unterscheidet zwischen „schaffendem“ und „raffendem“ Kapital. Das gute, „schaffende“ Kapital meint dabei z.B. Industriekapital, das angeblich Werte schafft. Mit „raffendem“ Kapital ist z.B. Bankkapital gemeint, das Profite über Kredite erlangt. Diese Unterscheidung ist natürlich unsinnig, da keine Form von Kapital, sondern nur menschliche Arbeit Wert schaffen kann.

Nicht sein Charakter, seine Religion, seine Staatsbürgerschaft oder seine ‚Rasse’ machen den Kapitalisten zum Ausbeuter, sondern seine Stellung in einer auf spezifische Weise organisierten Gesellschaft.

Kapitalistische Krisen

Voraussetzung dafür, dass sich Kapital verwerten kann ist, dass ein freier Markt besteht, auf dem sich die Waren c (konstantes Kapital, d.h. Gebäude, Maschinen und Rohstoffe) und v (Arbeitskraft) finden. Das wieder setzt historisch die ursprüngliche Akkumulation, die Trennung der Gesellschaft in Arbeiter und Kapitalisten voraus.

Diese Entwicklung vollzieht sich in der Feudalgesellschaft, durch die Entwicklung der Produktivkräfte und den damit verbundenen Klassenkämpfen, die zum Sturz der Feudalherrschaft und dem politischen Sieg der Bourgeoisie in der bürgerlichen Revolution führen. Auch nach dem Sieg der Bourgeoisie vollzieht sich der Akkumulationsprozess des Kapitals nicht reibungslos. Wirtschaftskrisen und Arbeitslosigkeit gehören ebenso zum Kapitalismus wie Warentausch und Profit.

Auf Zeiten rasanten Wirtschaftswachstums folgen ökonomische Talfahrten. In regelmäßigen Abständen gerät der kapitalistische Reproduktionsprozess ins Stocken. Waren finden keinen Absatz mehr, Maschinen stehen still, Arbeiter werden entlassen. Die kaufkräftige Nachfrage bricht ein. Jeder Betrieb, der schließt, bringt andere in Gefahr. Zulieferer verlieren ihre Kunden, Schulden können nicht bezahlt werden, Gläubiger bleiben auf ihren Außenständen sitzen und geraten selbst in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Eine sich selbstverstärkende Abwärtsspirale entwickelt sich, die das gesamte Wirtschaftssystem erschüttert und Millionen von Menschen in Not bringt.

Nicht dass die gesellschaftliche Reproduktion ab und an ins Stocken gerät, ist dabei das Besondere. Zeiten von Not und Hunger hat es in der Geschichte immer wieder gegeben. In früheren Epochen waren sie jedoch in aller Regel die Folge von außerökonomischen Einflüssen – Missernten, Seuchen oder Naturkatastrophen. Heute verfügt die Menschheit aber über die Mittel, um zu verhindern, dass äußere Einflüsse die Reproduktion nachhaltig stören – schlechte Ernten oder harte Winter müssten keine Katastrophen mehr auslösen. Im Kapitalismus bringt nicht die Natur, sondern die ökonomische Struktur der Gesellschaft das Elend hervor. Wirtschaftskrisen brechen nicht aus, weil zu wenig, sondern weil ‚zu viel’ produziert wird. Menschen geraten in Not, weil die Lager überquellen, Arbeitslosigkeit breitet sich aus, weil Maschinen stillstehen. In dieser Phase der Krise wird eine Menge Kapital vernichtet oder liegt brach: In den Lagern verkommen nicht-verkäufliche Waren, Produktionsanlagen stehen still oder werden ganz geschlossen. Dadurch werden die Überkapazitäten allmählich abgebaut und das Überangebot schwindet.

Diese Krisenphasen haben erhebliche Auswirkungen auf den Lebensstandard der arbeitenden Menschen. Nicht nur verlieren Millionen von Menschen ihre Arbeitsplätze. Die Angst vor dem Absturz in die Arbeitslosigkeit setzt auch die Teile der Arbeitenden unter Druck, die ihren Arbeitsplatz noch haben. Die Löhne sinken, die Ware Arbeitskraft wird billiger. Die kapitalistische Akkumulation geht aber weiter.

Die Kapitalisten mit den modernsten Produktionsverfahren, die am billigsten produzieren, übernehmen die Kunden der Konkurrenten, die mangels Absatz schließen mussten. Die Kapitalisten mit der besten Technik stellen nun wieder ein, zwar zu schlechten Löhnen wegen der Arbeitslosigkeit, aber die Kaufkraft des Gesamtmarktes wächst. Die Wirtschaft belebt sich wieder. Das Rennen der konkurrierenden Kapitalisten um den wachsenden Markt beginnt. Maschinen, Rohstoffe und die zu ihrer Herstellung nötige Arbeitskraft werden nachgefragt. Gewinner im Kampf um die zu vergebenden Marktanteile ist, wer als erster mit niedrigen Preisen auf den Markt kommt, d.h. mit neuer Technik produziert. Die Herstellungstechnik der Waren wird im gesamten Markt erneuert, die Produktivkräfte werden entwickelt.

Zwar steigen im Aufschwung die Löhne, sobald die Arbeitslosigkeit der Krisenphase zurückgegangen ist, doch bleibt die Kaufkraft hinter der Entwicklung der neuen Produktionskapazität zurück. Die neuen Maschinen produzieren mehr Waren mit weniger Arbeitskraft. Sobald die ersten Absatzschwierigkeiten bekannt werden, werden Investitionen gebremst. Die Nachfrage nach Maschinen und Rohstoffen, dann nach Arbeitskraft geht zurück. Die Spirale dreht sich wieder nach unten, die Wirtschaft gerät in einen krisenhaften Abschwung, dann in die Depression. Der Krisenzyklus von Depression, Belebung, Aufschwung, Krise und wieder Depression beginnt von Neuem.

Grundlage des kapitalistischen Krisenzyklus ist der Grundwiderspruch der kapitalistischen Produktionsweise: Der zunehmend gesellschaftliche Charakter der Produktion (Mit dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion ist gemeint, dass die Warenproduktion arbeitsteilig, unter Einbeziehung der gesamten Gesellschaft in den Produktionsprozess, stattfindet) und die private, auf Privateigentum an Produktionsmitteln beruhende Aneignung der Produkte. Die Bourgeoisie kann auf die Krisen nur durch erneute Akkumulation reagieren.

„Wodurch überwindet die Bourgeoisie die Krisen? Einerseits durch die erzwungene Vernichtung einer Masse von Produktivkräften; anderseits durch die Eroberung neuer Märkte und die gründlichere Ausbeutung alter Märkte. Wodurch also? Dadurch, dass sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert.“

aus: Manifest der Kommunistischen Partei v. F. Engels und K. Marx

Zur Verhinderung von Krisen müsste mit Blick auf das Verhältnis der gesamten gesellschaftlichen Produktionskapazität zur gesamtem gesellschaftlichen Nachfrage entschieden werden, wo investiert wird und wie viel Lohn gezahlt wird. Nicht dort, wo die höchsten Profite zu erwarten sind, müsste investiert werden, sondern dort, wo es ein gesellschaftliches Bedürfnis nach mehr Produktion gibt. Eine auf diese Art geplante Wirtschaft ist aber unvereinbar mit der kapitalistischen Produktionsweise. Damit würde die Kapitalistenklasse die Grundlage ihrer Herrschaft, das Privateigentum an Produktionsmitteln und damit die Konkurrenz unter den Kapitalisten abschaffen.

In der Krise zeigt sich im zugespitzten Klassenkampf um die sinkende gesellschaftliche Produktion die Stabilität der proletarischen Organisationen: Wie weit lässt sich die Arbeiterklasse zu armen Teufeln degradieren, wie stark sind die Gewerkschaften? Deren Stärke hängt letztlich ab von ihrem Überblick über die Gesamtlage, von ihrem organisierten Bewusstsein der „Bedingungen, des Gangs und der Resultate“ des Klassenkampfs (Marx/Engels, Manifest, siehe GLS-Abschnitt ‚Strategie und Taktik‘). Der kapitalistische Krisenzyklus ist der permanente Beweis, dass die Produktionsverhältnisse nicht mehr dem Stand der Vergesellschaftung der Produktivkräfte entsprechen und durch die bewusste Organisation der produzierenden Menschen überwunden werden muss.

Entwicklungstendenz der kapitalistischen Akkumulation

Kapital, das grundlegende gesellschaftliche Verhältnis unserer Gesellschaft, ist sich selbst verwertender Wert, seine Qualität besteht ausschließlich in seinem Wachstum: Das Kapital G‘ muss größer als G sein, und zwar mindestens so viel größer, dass es im Konkurrenzkampf überlebt. Die kapitalistische Konkurrenz erfordert massenhafte Erneuerung der Produktionstechnik zur Verbilligung der Produktion und Produktionstechnologie auf immer größerer Stufenleiter, immer größere Produktionsstätten- und Verbünde.

Die Kapitalisten befinden sich in einem ständigen Kampf um Marktanteile miteinander. Dabei wird der Produktionsprozess immer weiter zentralisiert und konzentriert. Zentralisation und Konzentration sind ständig ablaufende Prozesse: Einzelne Unternehmen schließen sich zusammen oder werden von einem überlegenen Konkurrenten übernommen (Zentralisation). Außerdem sammelt sich durch die Akkumulation immer mehr Kapital in den Händen einiger weniger Kapitalisten (Konzentration). Diese Prozesse werden in Krisenzeiten auf eine brutale Art beschleunigt.

Die im kommunistischen Manifest geschilderte Entwicklung der industriellen Revolution der ersten Hälfte des 19. Jhdt. setzte sich unvermindert in der 2. Hälfte fort. Die Stahl- und Kohleindustrien wuchsen zu gewaltiger Größe an, im 20. Jahrhundert kam die nochmal größere Einheiten erfordernde Chemie- und Elektroindustrie dazu. Kleinere Kapitale wurden einverleibt oder vernichtet, selbstständige Handwerker und Kleinkapitalisten verloren ihre Existenz. Zugleich organisierten die großen Konzerne riesige Menschenmassen unter ihrer Herrschaft.

Arbeiteten in einem Handwerksbetrieb nach Zunftordnung meistens nicht mehr als eine Handvoll Menschen zusammen, in den frühkapitalistischen Manufakturen in der Regel einige Dutzend, so beschäftigen moderne Großkonzerne zehntausende oder gar hunderttausende von Arbeiterinnen und Arbeitern. Der Einsatz der modernen industriellen Produktionsverfahren erfordert riesige und stets wachsende Kapitalmassen. In vielen Wirtschaftszweigen sind die für eine rentable Produktion nötigen Investitionen so gigantisch, dass sie selbst von den reichsten Kapitalisten nicht mehr aufgebracht werden können. Banken und Aktiengesellschaften sorgen hier für die Zusammenfassung unzähliger Einzelkapitale.

Zugang zum Kapitalmarkt wird im Konkurrenzkampf der Kapitale entscheidend. In jedem kapitalistischen Reproduktionszyklus, d.h. Krisenzyklus, wachsen nicht nur die Kapitale immer weiter an Auch der Klassenkampf erhält eine neue Dimension: Nicht nur die Kapitale wachsen und organisieren sich, auch die Abteilungen der Arbeiterklasse wachsen und organisieren sich. Sie schließen sich in immer größeren Gewerkschaften zusammen und führen ökonomische Klassenkämpfe auf immer höherer Ebene (z.B. auf Ebene ganzer Branchen und nicht mehr einzelner Betriebe).